1. Der Auftraggeber eines VOB-Vertrags kann dem Auftragnehmer den Auftrag entziehen, wenn der Auftragnehmer den Beginn der Ausführung verzögert oder mit der Vollendung in Verzug gerät und eine gesetzte angemessene Nachfrist zur Vertragserfüllung fruchtlos abgelaufen ist.
2. Der Auftragnehmer gerät nicht in Verzug, wenn er einer Weisung des Auftraggebers nicht folgt, die seine geltend gemachten Bedenken treuwidrig nicht berücksichtigt.
3. Treuwidrig ist eine Anweisung, wenn danach die Leistungen auf eine gegen den Bauvertrag und gegen die Regeln der Technik verstoßende Weise erbracht werden soll, ohne dass eine Freistellung von der Gewährleistung erfolgt. Der Auftragnehmer muss sich keinen Gewährleistungsfall nicht absehbaren Ausmaßes aufzwingen lassen.
4. Dem Auftragnehmer steht ein Leistungsverweigerungsrecht zu, wenn er dem Auftraggeber nicht nur ordnungsgemäß seine Bedenken mitgeteilt hat, sondern wenn die Prüfung dieser Bedenken mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ergebnis hat, dass die vom Auftraggeber vorgesehene Art der Ausführung zum Eintritt eines erheblichen Leistungsmangels oder eines sonstigen nicht nur geringfügigen Schadens führen wird.
5. Die Beweislast für die Treuwidrigkeit der Anweisung des Auftraggebers liegt beim Auftragnehmer.

Der mit Fassadenreinigungsrabeiten im Rahmen eines VOB/B-Vertrages beauftragte Auftragnehmer (AN) teilte gegenüber seinem Auftraggeber (AG) Bedenken mit, weil die Fassade teilweise nicht mehr intakt gewesen und das vorgesehene Hochdruck-Heißwasserstrahlen nur bei einer geschlossenen Putzfläche zulässig sei. Es kommt zum Streit mit dem Auftraggeber (AG), der die ausgeschriebene Leistung für geeignet gehalten hat, um den angestrebten (Reinigungs-) Erfolg zu erreichen. Er wies den AN an, mit höherem Wasserdruck zu arbeiten. Als der AN sich darauf nicht einlies, kündigte der AG den Vertrag. Der AN verlangt die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen i. H. v. 35.000 Euro.

Dem Grunde und teilweise der Höhe nach mit Erfolg! Der AG sei nicht berechtigt gewesen, den Vertrag wegen eines Verzugs des AN mit der Leistungserbringung zu kündigen. Es habe kein Verzug vorgelegen. Ein AN gerate nicht in Verzug, wenn er einer Weisung des Auftraggebers nicht folgt (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 VOB/B), die seine geltend gemachten Bedenken (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 VOB/B) treuwidrig nicht berücksichtigt. Gegen Treu und Glauben verstößt eine Anweisung des Auftraggebers vor allem, wenn danach die Werkleistungen auf eine gegen den Bauvertrag und gegen die Regeln der Technik verstoßende Weise erbracht werden soll, ohne dass eine Freistellung von der Gewährleistung erfolgt, denn der Auftragnehmer ist nicht verpflichtet, sich einen ihrer begründeten Meinung nach ernstlich drohenden Gewährleistungsfall nicht absehbaren Ausmaßes geradezu aufzwingen zu lassen (BGH, Urteil vom 4. Oktober 1984 – VII ZR 65/83 –, NJW 1985, 631). Der AN war auch deshalb nicht zur Fortsetzung seiner Leistung verpflichtet, weil der AG insoweit auf die Gewährleistung verzichtet hätte, denn ein solcher Verzicht sei nicht erfolgt. Die Verzugskündigung war dementsprechend in eine sogenannte freie Kündigung umzudeuten (vgl. BGH, IBR 2003, 595) mit der Konsequenz, dass der AN Anspruch auf Vergütung nach § 8 Abs. 1 VOB/B i. V. m. § 649 BGB a. F. habe.

Die Entscheidunng erinnert einmal mehr daran, dass Unternehmern dringend zu empfehlen ist, Bedenkenmitteilungen so konkret und abschließend wie möglich unter Berücksichtigung der Erkenntnismöglichkeiten des Auftraggebers abzufassen. Der Zugang einer (nur) solchen Bedenkenmitteilung führt zur Enthaftung des Unternehmers gemäß § 13 Abs. 3 VOB/B. Eine Bedenkenmitteilung enthaftet den AN aber eben nur bezüglich Mängelansprüchen des AG, führt aber nicht zu einer „Enthaftung“ von Ansprüchen Dritter, die – trotz mitgeteilter Bedenken – z. B. durch eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht geschädigt werden (OLG Brandenburg, IBR 2008, 1112). Auch kann sich der AN durch eine Bedenkenmitteilung nicht von seiner Verantwortung für die Einhaltung der geltenden gesetzlichen und behördlichen Bestimmungen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VOB/B) befreien. Weist der AG den AN also z. B. an, die Treppengeländer in einem Schulgebäude entgegen einer einschlägigen (landesrechtlichen) Bauvorschrift nicht 1 m hoch, sondern nur 95 cm hoch auszuführen, muss und darf der AN diese Anweisung nicht befolgen. Gleiches gilt, wenn mit der Befolgung der Anordnung eine Gefahr für Leib und Leben verbunden ist (OLG Karlsruhe, IBR 2004, 684).